Das iRRland muss weichen - Wird Münchens Kulturlandschaft wieder ein Stück ärmer?
Dem selbstverwalteten Kunst- und Kulturraum iRRland im Münchner Westend droht das Aus: Nachdem das Anwesen Bergmannstrasse 8 Anfang 2017 seinen Besitzer wechselte, wurde Ende 2018 den dort beheimateten Räumen des Kulturvereins Mischwald e.V. zur Mitte diesen Jahres gekündigt.
Damit verliert die Stadt und das Stadtviertel - einmal mehr - ein kleines, unverzichtbares Kulturbiotop, das über sieben Jahre wertvolle Kulturarbeit leistete und das man erfinden müsste, wenn es nicht schon vorhanden wäre. So wird ein beängstigender Trend fortgesetzt, in dem Kunst, Kultur und Zivilgesellschaft den vermeintlich unausweichlichen Zwängen des Immobilienmarktes zum Opfer fallen.
Im selbstverwalteten iRRland wird ein breites Spektrum kultureller Vielfalt angeboten, von einem Kollektiv, das den Mut hat, sowohl weit über die Stadtgrenzen hinaus etablierten als auch unkonventionellen und hiesigen Künstler*innen einen Ort der Entfaltung zu bieten:
In dem kleinen, gemütlichen Veranstaltungsraum traten - bei fast immer freiem Eintritt - z.B. der durch die Satirezeitschrift Titanic bekannt gewordene Autor und Übersetzer von Bob Dylans Autobiographie, Gerhard Henschel, der Regisseur und Buchautor Wenzel Storch und der Musiker, Publizist und Hörspielautor Hartmut Geerken auf. Dies sind aber nur die Bekanntesten. Das iRRland bietet ebenso unbekannteren Kunst- und Kulturschaffenden aus München, Berlin, London, Porto oder Graz, aber auch aus Garmisch, Dingolfing, Pasing, Herrsching oder Buchloe einen Raum. Immer wieder werden diese Veranstaltungen durch das Kulturreferat der Stadt München gefördert, ansonsten finanziert sich das Kollektiv über Spenden und aus Eigenmitteln.
Es gibt Ausstellungen mit Schmuck, Malerei, Fanzines und Comics, Workshops zu Buchbinden, Fotografie, Nähen, Fahrradreparatur und mehr. Es werden seltene Filme gezeigt, und auch die Theorie kommt nicht zu kurz: Die monatliche Veranstaltungsreihe "Talk is cheap“ widmet sich seit über drei Jahren in Vorträgen dem sozialwissenschaftlichen Blick auf Phänomene der Popkultur, und der Münchner Hörspielmacher Florian Schenkel vermittelte an mehreren Abenden einem sonst eher anderen Musikstilen verbundenen Publikum die Reize der klassischen Musik.
Darüber hinaus ist das iRRland ein Raum für unterschiedlichste Formen künstlerischen und zivilgesellschaftlichen Engagements: es ist Atelier, Upcycling-Werkstatt, Probe- und Unterrichtsraum für Musiker*innen und freie Theatergruppen, es dient als Treffpunkt und als wöchentlicher Verteilungsort der Ernte einer solidarischen Landwirtschaft. Nicht zuletzt steht hier seit über vier Jahren einer der wenigen Risographen Münchens - bei der Risographie handelt es sich um eine in Vergessenheit geratene Drucktechnik, die aber aufgrund ihrer preiswerten, ökologischen und energiearmen Technik und speziellen Ästhetik seit einigen Jahren vor allem im künstlerischen und DIY-Umfeld an Beliebtheit gewonnen hat.
Als die Kündigung eintraf, waren wir gleichzeitig schockiert und ernüchtert, aber nicht ohne eine Vorahnung für diese Entwicklung gehabt zu haben, die doch so typisch ist für diese Stadt: das Fressen und Gefressenwerden der Immobilienwirtschaft kann noch jede*n von uns irgendwann treffen. Nun müssen wir die Stadt um Maßnahmen zum Erhalt bitten.
Das iRRland leistet einen kleinen - aber deshalb beileibe nicht weniger wertvollen - Beitrag zur Münchner Kulturlandschaft, bei vielen Veranstaltungen ist der Raum bis auf den letzten Platz gefüllt. Die prekäre Situation, in der sich das Projekt jetzt befindet, ist exemplarisch für viele andere vergleichbare Projekte. So wie ihnen ergeht es Künstler*innen, die aus ihren Ateliers fliegen, kleinen Läden und Projekten die sich keine teuren Mieten in Bestlage leisten können, Bands, deren Proberäume gekündigt werden, und, und, und. Und jedes Mal wird das Kulturleben in dieser Stadt ein Stückchen weniger vielfältig, weniger offen und dafür noch ein Stückchen glatter, kommerzieller und vorhersehbarer.
Wie kann es weitergehen? Das iRRland will sich nicht den Mut nehmen lassen und hofft auf Unterstützung der Münchner Stadtgesellschaft. Vielleicht gelingt es mit Rückendeckung von Bezirksausschuss und Stadtverwaltung, die Kündigung nach hinten zu schieben. Um Zeit zu gewinnen einen anderen Raum - geeignet und erschwinglich - zu finden, auch wenn sich dort das gleiche Spiel in ein paar Jahren wiederholen kann.
Doch wir appellieren auch daran, dass sich Stadt und Bezirk endlich einmal dafür entscheiden, Kunst- und Kulturschaffenden eine feste und dauerhafte Bleibe für Ihr Wirken zu ermöglichen, anstatt die so in Mode gekommenen ewigen, zermürbenden Zwischennutzungen von baufälligen Bruchbuden, die überhaupt erst nach zähesten Verhandlungen genehmigt werden, und die man gleich wieder verlassen muss, nachdem man als Kulturprojekt zur Aufwertung beigetragen hat und sich nun eine profitablere Nutzung abzeichnet. Man könnte dabei auch mal auf die Selbstregulierung der Künstler*innen vertrauen, anstatt immer nur auf die Selbstregulierung des Marktes, obwohl doch langsam klar geworden sein dürfte, dass man dem Markt am allerwenigsten vertrauen kann.
Vorbilder dafür gibt es überall. Paris z.B. leistet sich das "Cité des Artes". In São Paulo steht in jedem Stadtviertel ein Kulturzentrum, sog. SESC, größer als der Gasteig.
Wann wird München endlich zu der Weltstadt, die sie so gerne wäre?
* Wir appellieren an die Stadt und den Bezirksausschuss, dem iRRland bei den Bemühungen um den Erhalt der Räume und der Suche nach neuen geeigneten Räumen zur Seite zu stehen!
* Längerfristig fordern wir von der Stadt eine Kulturpolitik, die selbstverwaltete, freie Projekte ermöglicht, z.B. durch Bereitstellung von Räumen, durch finanzielle und politische Unterstützung!
* Und von den Immobilieneigentümer*innen fordern wir, sich ihrer sozialen Verantwortung zu stellen und Projekte wie das iRRland möglich zu machen!
München braucht mehr Freiräume für unkommerzielle Kunst und Kultur! Die Stadt ist für alle da!
Unterzeichnende
- Andrea Natterer (Schuhmacherin, München)
- Andreas Haslauer (Künstler, Wien)
- Anita Schneider (Künstler)
- Anja Uhlig (Künstlerin, u.a. Projekt "Das KloHäuschen", München)
- Anna Heger (Comiczeichnerin, München)
- Anne Wodtcke (Bildende Kunstlerin)
- BBK Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler München und Oberbayern e.V.
- Benedikt Gahl (Künstler, Verleger, München)
- Benjamin Mathias (Tontechniker, München)
- Bernhard Eberle (München)
- Bettina v. Minnigerode (Schriftstellerin, Erlangen)
- Christian (Kap37, München)
- Christian Galuschka (Journalist / Kulturforscher, Nürnberg)
- Christian Scheider (Bauer, Mammendorf)
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Christof Mettler (Alltagsbegleiter)
- Cora Wimbauer (Setdecorateurin, München)
- Cornelia Böhm (München)
- Corvin Stern (München)
- Daniel Mirbeth (Musiker/Politikwissenschaftler)
- afne Narvaez Berlfein (Medienkunstlerim/Forscherin, Berlin)
- Emma Pongratz (PA Studentin, München)
- Gemma Meulendijks (Künstlerin, München)
- Gunnar Anzinger (Informatiker)
- Ilse Dietl (Seniorenbetreuerin, München Westend)
- Imke Schmincke (Soziologin, München)
- Ivica, Vukelic (Konzertveranstalter, München)
- Jasmin Matzakow (Akademie der Bildenden Künste, München)
- Jasna Muminovic (München)
- Jochen Schücke (Arbeiter)
- Josip Pavlov (Musiker, München)
- Julie Foldenauer (Angestellte)
- Katharina Deml (Kunststudentin, München)
- Katja Ulbrich (Psychologische Psychotherapeutin)
- Kerem Schamberger (Kommunikationswissenschaftler, München)
- Kerstin Ritzer (Sozialpädagogin, München)
- Kristian Albert (Lehrer)
- Kristin Köhler (München)
- Lilli Pongratz (Filmemacherin, München)
- Louis Seibert (Ernteanteil SoLaWi Donihof, München)
- Lukas Steigerwald (Noise Musiker/DJ)
- Marcel Ralle (München)
- Margaretha Eisenhofer
- Maria Berauer (Künstlerin, Kunstpädagogin)
- Maria Gustovic (München)
- Marianne Walther (München)
- Freie Soliküche München)
- Marie Banck (Rettet die Wagnerburg, München)
- Marlene Asenbeck (München)
- Martin Hemmel (DJ, München)
- Martin Posset (Redakteur, München)
- Merlin Klein (stattpark olga, münchen)
- Michael Bussmann (Wissenschaftler)
- Michael Krämmer (München)
- Michael Mende (München)
- Michaela Akman-Mayer (Mensch, Leipzig/München)
- Milena Bornkamm (Kinderärztin, München)
- Monika Manz (Schauspielerin, München)
- Nick Neubert (get rid! any gender is a drag!, München)
- Nora Frohmann (Künstlerin, Leipzig)
- Odysseas Giannopoulos (Elektriker, München)
- Oli Hummel (Illustrator, München)
- Peter Lübke (Tontechniker, Stattpark OLGA)
- Philipp Gufler (Künstler, München)
- Raquel Ro (dreiUNdreizig Werkstatt, München)
- Robert Pietsch (Dipl.-Geologe)
- Rudolf Wenzel (Rektor i. R., Riemerling)
- Sonja Angerer (Journalistin / Business Analyst, Nürnberg)
- Silke Hoffmann, Künstlerin, München
- Simon Probst (Ingenieur, München)
- Stephan Schlienz (Architekt)
- Steven Franke (Manager Marketing, München)
- Toshio Kusaba (Amanationen)
- Valentin Pongratz (Kunstlehrer, München)
- Wenzel Regina (Krankenschwester, Riemerling)
- Wolf-Burkhard Heinz (Katzwanger Kulturzentrum-KaKuze, Nürnberg)
- Zehra Spindler (Veranstalterin, Betreiberin, München)